„EULENZAUBER“
 DIE FASZINATION DER VÖGEL DER NACHT

von Doris Altschach – Plach, Wien/Thaya

Viele von Ihnen, liebe Leser, werden sich sicherlich fragen, warum ich meiner Ausstellung den Titel „Eulenzauber“ verliehen habe. Viele von Ihnen werden sich auch wundern, was ich wohl an Vögeln faszinierend finde, die weder den anmutigen Gesang einer Nachtigall noch das bunte, auffallende Federkleid eines Paradiesvogels besitzen und darüber hinaus den zweifelhaften Ruf eines Todesboten und Unglücksbringer hatten, in manchen Kulturkreisen sogar noch haben.
Nun, diejenigen Eigenschaften, die mich an Eulen so faszinieren, bewunderten schon die Jägervölker in der Steinzeit, wie Höhlenmalereien aus jener Zeit in Südfrankreich und Spanien beweisen (Abb.1). Die großen, starren, nach vorne gerichteten Augen, der um 270 Grad drehbare Kopf, die hervorragende Tarnung ihres Gefieders, der lautlose Flug, der den Überraschungseffekt gegen Beutetiere erst ermöglicht, ihr unheimlicher Schrei und ihre nächtliche, verborgene Lebensweise übten schon seit jeher eine erstaunliche Faszinationskraft auf uns Menschen aus. Andererseits trugen gerade diese Eigenschaften auch zu dem schlechten Ruf der Eulen bei. Da sie so schwer zu beobachten waren bzw. sind, konnten sich auch viele falsche Vorstellungen über diese Vögel verbreiten.
Genau darin liegt für mich eine weitere Ursache für meine Bewunderung für Eulen begründet. Es ist erstaunlich, dass man zu allen Zeiten, bei allen Völkern und Kulturen unseres Globusses ein ambivalentes Verhältnis der Menschen zu diesen geheimnisvollen Vögeln beobachten konnte (Abb.2). Eulen wurden und werden gefürchtet und verehrt, verachtet und bewundert, als weise oder als närrisch angesehen, mit Hexerei, Geburten und Sterbefällen in Verbindung gebracht.
Was verursachte nun diese zwiespältigen Gefühle den Eulen gegenüber und regte den Menschen seit jeher zu den vielfältigsten künstlerischen Darstellungen an? In erster Linie sind hier wohl die faszinierenden Augen zu erwähnen (Abb.3). Diese befinden sich, im Unterschied zu anderen Vögeln, nicht an der Seite des Kopfes, sondern sind nach vorne gerichtet. Eulen starren ihrem Betrachter mit intensivem Blick aus einem katzenähnlichen Gesicht entgegen. Beim Blinzeln bewegen sie das obere Augenlid genau wie wir Menschen. Dieser Lidschlag wirkt auf uns sehr „verständig“ und „wissend“. Ihre auffallend großen Augen blicken uns ruhig und aufmerksam an, was wiederum einen „erfahrenen“ und „besonnenen“ Eindruck bei uns Menschen hinterlässt. Dieser fast menschenähnliche Gesichtsausdruck der Eulen und ihr ruhiges, scheinbar „gedankenversunkenes“ Verhalten an ihrem Tagesruheplatz trugen sicherlich dazu bei, dass Eulen zum Sinnbild der Weisheit wurden.  Man denke nur an das antike Griechenland, wo niemand Geringerer als die Göttin der Weisheit und der Wissenschaften, Pallas Athene, eine Tochter des Göttervaters Zeus, die Eule zu ihrem Lieblingsvogel und Vertrauten wählte. Das Abbild des Steinkauzes (Athene noctua) zierte nicht nur Münzen, sogenannte Tetradrachmen (Abb.4), sondern auch Amphoren, Maßgefäße, Salbengefäße und Parfumflakons. Natürlich interpretierte der Mensch die oben erwähnten Eigenschaften fälschlicherweise als menschliche. Die Natur hat jedes Tier mit den Fähigkeiten ausgestattet, die es für sein tägliches Leben und Überleben braucht.
Wie kam es nun, dass ein so „weiser“ Vogel auch immer wieder mit dem zweifelhaften Ruf eines Todesboten in Verbindung gebracht wurde? Hier spielte sicherlich die Lebensweise der Eulen eine entscheidende Rolle. Da Eulen hauptsächlich nacht- und dämmerungsaktiv sind, führen sie ein dem Menschen meist verborgenes Leben. Ihr langsamer, geisterhafter Flug zur Dämmerstunde und ihr durchdringender, schauriger Ruf regten die Fantasie der Menschen an und führten in allen Kulturkreisen zu den vielfältigsten und absurdesten Spekulationen. So spielten die Eulen in den Mythen und Überlieferungen, in denen der Aberglaube zum Tragen kommt, eine wesentliche Rolle.
In der sumerischen Kultur war die Eule mit der Dämonin Lilith assoziiert. Diese wurde mit Flügeln und Eulenfüßen dargestellt. Als ihre Entsprechung in der akkadisch-babylonischen Kultur galt die Göttin Inanna-Ishtar, die flankiert von zwei Eulen, abgebildet wurde. Bei den Ägyptern waren Eulen die Sendboten aus dem Reich der Toten. Man verewigte sie auf Grabmalen und als Schriftsymbol für den Buchstaben „M“ in den Hieroglyphen (Abb.5). Im antiken Rom wurden Eulen nicht nur als Wappenvögel der Göttin Minerva (Pendant zu Athene) verehrt, sondern auch als Vorboten drohenden Unheils gefürchtet und verachtet. Der Legende nach soll eine Eule die Ermordung Julius Caesars durch Gaius Brutus durch ihren verhängnisvollen Ruf am Vorabend angekündigt haben, als sie sich an Caesars Schlafzimmerfenster zeigte. Auch bei den Mayas in Südamerika galten Eulen als Symbol des Todes. Die Azteken sprachen ihnen göttliche Attribute zu, symbolisierten sie doch Techlotl, den Gott der Unterwelt.
Vor allem im europäischen Mittelalter änderte sich das Bild der Eulen entscheidend.  Ihre Vorliebe für die Einsamkeit und Ruhe, die Eulen oft auf Friedhöfen fanden und  immer noch finden, war ihrem Ruf nicht gerade zuträglich. So wurden sie als unheimliche, den Tod verkündende Wesen, die mit dem Teufel im Bunde standen, gefürchtet und verfolgt. Um Tod und Teufel zu bannen, nagelte man nicht selten Eulen lebendig an Scheunentore, sozusagen als abschreckende Warnung für Dämonen und Hexerei. Die lateinische Bezeichnung für Eulen, „Striges“, bedeutet nichts anderes als Hexen. Die Überzeugung, dass Eulen die Verbündeten von „Hexen“ seien, war jedoch in vielen Teilen der Welt weit verbreitet (Abb.6).
Der Glaube der Menschen an die magischen Kräfte dieser Vögel erstreckte sich sogar auf deren Verwendung in der Volksmedizin. Eulenfleisch und Euleneiern wurden außergewöhnliche magische Eigenschaften zugesprochen. Sie galten als ausgezeichnete Heilmittel bei allerlei Beschwerden und durften in einer guten Hausapotheke nicht fehlen. Eulenbrühe soll das beste Heilmittel gegen Keuchhusten gewesen sein. Eine Suppe aus Euleneiern galt als Medizin gegen Epilepsie, während eine Haarpackung aus Euleneiern angeblich bei dünnem Haarwuchs half. Außerdem galten Euleneier als probates Mittel gegen Trunksucht. Der Verzehr von Eulenaugen hingegen soll eine hervorragende Methode zur Verbesserung der Sehkraft und zur Fähigkeit, auch im Dunkeln zu sehen, gewesen sein. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass man an die heilsame Wirkung von Eulen bei den unterschiedlichsten Gebrechen glaubte, bedenkt man, dass die Eule das Attribut des griechischen Gottes der Heilkunst, Asklepios, Sohn der Athene, war.
Im Glauben vieler Indianervölker Nordamerikas zeigte sich, wie sich die negativen Tendenzen, die die Eulen begleiteten, langsam abzuschwächen begannen und eine wohlwollende Haltung ihnen gegenüber zu erahnen war. Einige Stämme verehrten die Eule wegen ihres Mutes und wegen ihrer Stärke. Andere wiederum glaubten, dass Eulen die Seelen verstorbener Menschen verkörperten, deshalb wurden sie in der Funktion von Schutzgeistern gesehen. Die Medizinmänner der Indianer waren im Gegensatz zu Hexen äußerst angesehene Leute. In ihre Zeremonien und Opferrituale war meistens die Eule in irgendeiner Form involviert. So hatten die Medizinmänner beispielsweise ausgestopfte Eulen bei sich, trugen Eulenfedern oder richteten Gebete an die Eule, um sie bei ihren Unternehmungen um Beistand zu bitten (Abb.7).
Im 18. Jahrhundert rückte mit den aufstrebenden Naturwissenschaften der zoologische Aspekt der Eulen ins Interesse der Menschen. Dies manifestierte sich in zahlreichen, naturgetreuen Darstellungen der Vögel. Man denke nur an die wundervollen Aquarelle des englischen Malers William Turner.
Die Mythologien, Legenden und abergläubischen Vorstellungen, die sich um die Eulen rankten, waren tatsächlich zahllos. Faszinierenderweise waren sie weder an Ort noch Zeit gebunden und vielfach einander sehr ähnlich. Mit dem Verblassen des Aberglaubens im 20. Jahrhundert erlangten die Eulen auch wieder ihren Status als Weisheitssymbol zurück. Heutzutage hat sich das Bild der Eulen als Symbol des Wissens (Abb.8) generell durchgesetzt. Man denke nur an die zahlreichen Buchverlage ( z.B. Ullstein, Eulen Verlag, Eulenspiegel Verlag ) und Buchhandlungen, die die Eule als ihr Logo verwenden. Schließlich macht Lesen ja klug. Auch Schulen und Universitäten bedienen sich des Eulenmotivs als Symbol der Wissensvermittlung. Es ist auch kein Zufall, dass viele Exlibris als bevorzugtes Thema ausgerechnet eine auf Büchern sitzende Eule darstellen. Der Einfluss des griechischen Gedankens ist hier unverkennbar spürbar: die Eule als Sinnbild für Besonnenheit und Klugheit. Auch in der Firmenwerbung hat die Eule ihre Bedeutung gefunden. Werbeslogans vermitteln unter der Abbildung einer Eule unter anderem Schläue, Weitsichtigkeit, Wachsamkeit, Welterfahrung und Sparsamkeit (Abb.9).
Seit dem Ende des Zeiten Weltkrieges kamen die Eulenvögel  schließlich weltweit zu besonderen neuen Ehren, nämlich als begehrte Sammelobjekte zahlloser Eulensammler und -sammlerinnen. Eulen findet man nicht nur als Plastiken, sie zieren auch Schmuckstücke, Textilien und diverse Gebrauchsgegenstände. Eulen spielen die Hauptrolle in zahlreichen Kinderbüchern und blicken von Briefmarken, Postkarten, ja sogar von Telefonwertkarten dem verzückten Sammler entgegen. Alle erdenklichen Materialien, wie Fell, Glas, Holz, Keramik, Kunststoff, Leder, Metall oder Plüsch werden zur Herstellung von Eulen verwendet. Der Sammelleidenschaft der Menschen kommt die Kunstgewerbeproduktion natürlich stets in jeder Weise entgegen. Das mannigfaltige Angebot reicht vom künstlerisch wertvollen Unikat bis hin zur kitschigen, industriell gefertigten Massenware. Überall auf der Welt kann sich der leidenschaftliche Eulen-Fan auf die Jagd nach „Kauzigem“ oder „Euligem“  begeben und muss in den „Eulenwäldern“ der einschlägigen Geschäfte sicherlich nicht lange suchen, um fündig zu werden. Die Tierchen fliegen ihm gewissermaßen von selber zu, wie ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen kann. Stets werden sie liebevoll aufgenommen, egal ob sie der schönen oder kauzigen, der kostbaren oder kitschigen, der selbstgebastelten oder der serienmäßig hergestellten Gattung angehören. So ist es nicht verwunderlich, dass es zahlreiche Sammler und Sammlerinnen gibt, in deren „Eulennestern“ mehrere tausend Exemplare der Familie der Strigidae zu finden sind, meine Wenigkeit eingeschlossen (Abb.10). Doch das ist eine andere Geschichte.
Irriger Ansichten wegen oder mutwillig aus Angst oder Hunger, oft auch zum bloßen Sport wurden  Eulen früher so sehr verfolgt, dass sie mancherorts nahezu ausgestorben sind. Heute sind es vor allem die Umweltverschmutzung, der Einsatz von Pestiziden und Insektiziden in der Landwirtschaft, die Expansion der Wohn-, Industrie- und Straßenflächen, die die Lebensräume der Eulen immer mehr einschränken. Dank eines wachsenden Umweltbewusstseins und eines positiven Gesinnungswandels beginnen die Menschen allmählich zu erkennen, dass jede Tierart, auch die Eule, ein erhaltenswerter Teil in Gottes Natur ist. Eulen sind Nutztiere, zu deren Beutetieren vorrangig Mäuse und Ratten gehören, die die Nahrungsvorräte der Menschen gefährden. Eulen sind in der Natur Glieder komplexer Lebensgemeinschaften und haben die Funktion von Regulatoren und Selektoren. Als solche spielen sie für das ökologische Gleichgewicht ihres Lebensraums eine entscheidende Rolle. Es ist nicht so, wie viele Menschen noch glauben, dass sie aus Mordgier töten. Das ist bedauerlicherweise vielmehr eine menschliche Eigenschaft. Der törichte Standpunkt vieler Menschen, die alle Lebewesen nur nach ihrem vordergründigen Nutzen einschätzen, hat sich auch objektiv als unhaltbar erwiesen. Heute weiß man, dass Eulen sehr effektiv helfen, das Gleichgewicht im Naturhaushalt zu regeln, indem sie die unkontrollierte Vermehrung der für die Nahrungsvorräte der Menschen schädlichen Nagetiere eindämmen. Weltweit bemühen sich Naturschützer und Biologen um ihren Schutz, ohne den diese faszinierenden Vögel in unserer Kulturlandschaft vermutlich kaum überleben können.
Der Mensch muss erkennen, dass er nicht der Herr der Schöpfung ist, sondern ihr verantwortungsvoller Verwalter sein sollte. Vielleicht kann ein besseres Verständnis für die Eulen dazu beitragen, dass ihnen das Schicksal der Ausrottung erspart bleibt und sich auch künftige Generationen an ihrer Schönheit und Faszinationskraft erfreuen können.
Literatur:
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